„Die Polizei lügt!?“

Debatte über die Polizei als politischer Akteur in den Medien
und mögliche Gegenstrategien

Die Presse- und Medienarbeit der Polizei wird immer professioneller, insbesondere in den Sozialen Medien. Mitarbeiter*innen werden fortgebildet oder zusätzliche Social-Media-Teams zusammengestellt. Besonders den Kurznachrichtendienst Twitter, der sich vor allem auch an Journalist*innen richtet, hat die Polizei für sich entdeckt und nutzt diesen zunehmend. So wurde der Einsatz von Gewalt durch die Polizei während der G20-Proteste verharmlost, heruntergespielt und verleugnet. Bei den Protestierenden hingegen berichtete die Polizei von angeblichen Hinterhalten. Beweisen konnte die Polizei diese Anschuldigungen nicht, wie sich viel später herausstellte. Die Glaubwürdigkeit der Polizei wird dennoch selten in Frage gestellt.

Doch wie kommt es zu solchen Meldungen? Werden sie bewusst eingesetzt oder sind diese eher Zufälle oder Irrtümer? Agiert die Polizei in ihrer Berichterstattung als politischer Akteur? Wie können politisch Aktive mit solchen Situationen umgehen und wie könnten Gegenstrategien aussehen?

Auf der Podiumsdiskussion „Die Polizei lügt!?“ Ende November an der TU Berlin, die gemeinsam von Robin Wood und der Linken Medienakademie ausgerichtet wurde, kamen viele Erfahrungen mit der polizeilichen Pressearbeit zur Sprache und mögliche Strategien, die diesem Phänomen entgegengestellt werden könnten. Mit dabei waren der Politikwissenschaftler Daniel Häfner, Matthias Sander (Pressesprecher bei der Räumung des Kiezladens Friedel54 in Berlin), Janna Aljets (Pressesprecherin bei Ende Gelände) sowie Oliver Leistert (Alternatives Medienzentrum „FC⚡MC“ bei G20).

Daniel Häfner führte aus, dass die derzeitigen aktuellen bekannteren Fälle, in denen die Polizei versuchte, Fehlinformationen in den Medien zu platzieren, Teilaspekte von Situationen ausblendete oder wertende Kommentare in den Medien verbreitete. Das Phänomen bewusst falscher Angaben aus taktischen Gründen sei bei der Polizei nicht neu. So wurden bei Castor-Blockaden (in Lubmin) oder Baumbesetzungen (in Lacoma) von Robin Wood die Proteste den Medien gegenüber durch die Polizei schon für beendet erklärt, obwohl diese noch andauerten, sodass die Tagesschau oder Presse des nächsten Tages den politischen Auseinandersetzungen weniger oder keine Beachtung mehr schenkten. Beim G7-Gipfel in Heiligendamm gab es beispielsweise überhöhte Verletztenzahlen der Polizei, wie aktuell beim G20-Gipfel in Hamburg. Auch die Clownsarmee sollte dort Säure versprüht haben – eine offensichtliche Falschmeldung, die es aber in die Medien schaffte.
Spätestens in den Fällen, in denen die Polizei(en) unverhältnismäßige Gewalt anwendeten, würde auch der vermeintliche Gegner medial attackieren. Gerade durch die Social-Media seien starke Anschuldigungen schnell verbreitet, aber schwer widerlegt, so habe die Polizei ein (politisches) Mittel in der Hand, unliebsame Proteste zu deligitimieren. Hinzu kommen gelegentlich nicht nur informierende, sondern auch wertende Veröffentlichungen in den Social-Media, die Behörden eigentlich nicht vornehmen dürften. Zumindest bei Großprotesten zeichneten sich verschiedene Strukturen des Vorgehens ab und insofern könnten und müssten hier auch Gegenstrategien für Protestierende entwickelt werden.

Matthias Sander schilderte seine Eindrücke von der Räumung des linken Kiezladens Friedel54 in Berlin-Neukölln. Medienvertreter*innen wurden durch die Polizei zur Seite gedrängt, Demonstrant*innen brutal angegangen – die Polizei Berlin twitterte unter dem Hashtag #Friedel54 live mit. Ein Tweet bekam dabei besonders Beachtung: “Lebensgefahr für unsere Kolleg. Dieser Handknauf in der #Friedel54 wurde unter Strom gesetzt. Zum Glück haben wir das vorher geprüft.”
In Wahrheit jedoch handelte es sich um ein Stromkabel, das neben der Tür lag, jedoch nicht unter Strom stand. Die Berliner Polizei stellte diese Falschmeldung erst am folgenden Tag richtig, bis dahin wurde sie auf Twitter verbreitet und auch einige Zeitungen erwähnten den angeblichen Vorfall. Matthias Sander ging davon aus, dass diese Darstellung durch die Polizei auch deshalb erfolgte, weil die Polizei selbst rabiat mit Protestierenden und Journalist*innen umgegangen sei und deshalb einen Fakt gesucht hätte, die Protestierenden zu diskreditieren und von den eigenen Taten abzulenken.

Wie können Aktivist*innen darauf reagieren?

Wichtig ist es, wurde in der Debatte deutlich, sofort aktiv zu werden und mit Fakten entgegenzuwirken. Die Polizei Berlin hat eine große Öffentlichkeit, ihre Tweets sind beliebt und gerade deswegen kann dies leicht ausgenutzt werden, um Protestierende zu delegitimieren und ihr Anliegen zu diskreditieren. Und so wurde von Friedel-Sympathisant*innen versucht, auf Twitter zumindest einen Beleg für die Feststellung der Polizei zu erhalten und die Debatte so zu beeinflussen, was aber nur eine relativ geringe Reichweite erzielte.

Das Team von „Ende Gelände“ erhält bereits vor seinen Aktionen viele Anfragen und große Aufmerksamkeit. Bei der letzten Aktion im Rheinland im November 2017 wurden sie aber kurz nach den G20-Protesten als “gewaltbereite Linksterroristen” bezeichnet und die Berichterstattung und die Fragen der Presse bezogen sich häufig auf diesen „Terror“-Rahmen. Janna und ihre Kolleg*innen versuchten deshalb, die Aufmerksamkeit wieder auf für sie relevante Themen zu lenken: Die Aktionsform des massenhaften zivilen Ungehorsams ist ja nur das Mittel, die Braunkohleförderung und -verstromung zu kritisieren.

Generell hält Janna es für sehr wichtig, auf alle möglichen Fragen vorbereitet zu sein – vor allem auf Fragen, die während der Aktion noch aufkommen könnten. Alles kann dabei aber unmöglich geplant werden. So wurde sie selbst von den Behauptungen der Polizei überrumpelt, dass Waffen bei Aktivist*innen gefunden worden seien – es handelte sich bspw. um Taschenmesser.
Besonders wichtig ist außerdem eine eigene Dokumentation bspw. von Filmer*innen vor Ort, die bei Falschmeldungen reagieren können, indem sie ihre Nachweise auf unterschiedlichen Kanälen veröffentlichen. Genau dies ist Ende Gelände bei der öffentlichen Auseinandersetzung um die Aktionen gegen den Braunkohletagebau gelungen:
Die Polizei behauptete, Protestierende seien auf Polizeipferde zugelaufen, um starke eskalierende Bilder zu produzieren. Die Aktivist*innen konnten per Video und Faktencheck aber nachweisen, dass die Pferde in die Protestierenden hineingeritten wurden. Dies führte bspw. bei Journalisten zu Verwunderung, dass die Aussagen der Polizei offensichtlich nicht stimmten.

Beim G20-Gipfel in Hamburg kurz zuvor hatte Oliver Leistert mit einer Gruppe von Aktivist*innen das alternative Medienzentrum „FC⚡MC“ eingerichtet. Dieses richtete sich nicht nur an professionelle Journalist*innen, sondern vor allem an Medienaktivist*innen, die bei den Protesten vor Ort waren und von dort berichteten. Dabei sollte eine Gegenöffentlichkeit entstehen, die differenziert informiert und nicht nur die Konfrontationen, sondern auch die Ziele hinter den G20-Protesten zeigen sollte. Dies war deshalb notwendig, weil die Hamburger Polizei die Deutungshoheit über die Proteste explizit für sich beansprucht hatte und eigene Narrative der Geschehnisse etablieren wollte. So wurde das Social-Media-Team von 4 auf über 30 Beamte aufgestockt. Für Aktivist*innen und Journalist*innen galt es, so schnell wie möglich zu reagieren und zu versuchen, ebenfalls Interpretationsangebote zu machen, wenn nicht sogar selbst die Deutungshoheit (zurück) zu erlangen. Berichtet wurde unter anderem von einer viel zu hohen Anzahl verletzter Polizist*innen und über „ausschreitende und gewalttätige“ Proteste. Dies trug dazu bei, dass das eigentliche Thema, nämlich Kritik am G20-Gipfel, in den Massenmedien und Social-Media hinter den „gewalttätigen“ Protesten verschwand.

Die Polizei beschäftigt sich immer stärker mit der Beeinflussung medialer Berichterstattung, wurde in der anschließenden Debatte klar. Sie genießt dabei zunächst ein grundsätzliches Vertrauen vieler Menschen – eine große Mehrheit der Bevölkerung glaubt der Polizei, ohne deren Aussagen zu hinterfragen.

Um dieser Deutungshoheit etwas entgegenzusetzen, bedarf es Einiges an Einsatz und Vorbereitung. So ist es wichtig, gezielt auf vergangene Falschaussagen der Polizei hinzuweisen und Journalist*innen daran zu erinnern, dass es für eine Meldung eben zweier Quellen bedarf. So ist es wichtig, gezielt auf vergangene Unwahrheiten der Polizei hinzuweisen und das nicht nur gegenüber linken Medien. Es gilt konkret herauszufinden, welche Journalist*innen bei lokalen Zeitungen für diesen Bereich zuständig sind und sich gezielt auf die Suche nach Medienpartnern in der „bürgerlichen Mitte“ zu begeben. Auf polizeiliche Berichterstattung, vor allem auf vermeintliche Falschmeldungen, muss so schnell wie möglich, am besten sofort reagiert werden – diese sollten außerdem archiviert werden, denn oft werden nach einiger Zeit Tweets strategisch gelöscht. Gute Erfahrungen gab es insgesamt mit parlamentarischen Beobachtern bei Protesten, deren Aussagen ein Authoritätsargument darstellen können.

Trotz allem sollte die Polizei nicht als Gegner, sondern eher als „Hindernis“ für eine Gegenöffentlichkeit angesehen werden. Polizei und Polizeigewalt sollten auch seitens der Aktivist*innen nicht zum Hauptthema gemacht werden, denn genau dies kann Interessierte abschrecken, bspw. an Protesten teilzunehmen. Stattdessen sei es wichtig, immer wieder zu artikulieren, warum die betreffende Aktion durchgeführt wird, was deren Ziele sind und wie Aktivist*innen diese umsetzen wollen. Und politisch Aktive sollten nicht zuletzt auch (wieder) mit den Betroffenen vor Ort, mit den Menschen für die protestiert wird, in Kontakt kommen, um Erfahrungen und Ideen von Mensch zu Mensch weiterzugeben. Das wäre dann aber auch so etwas wie Politik ohne Medien.

„Die Polizei lügt?! – Die Polizei als politischer Akteur in den Medien und mögliche Gegenstrategien“ war eine Diskussionsveranstaltung auf der Herbst-LiMA 2017 im Rahmen der Jahrestagung des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung unter dem Titel „Jenseits der ‚Lügenpresse’-Parolen – Soziale Bewegungen und die Zukunft der Medienkritik“ TU Berlin – Samstag, der 25. November 2017.

Text: Juliane Prokof
Bild: Meyer