Die vierte Wand des Radios – Ein gelungener Durchbruch braucht das passende Handwerk

Am 1.3. lud die Linke Medienakademie zusammen mit dem Münzenberg Forum Berlin zu einer Diskussion von Brechts Radiotheorien in Zeiten des Internets und sozialer Netzwerke ein. Als prominente Gäste und profunde Kenner der Medienszene sprachen Heiko Hilker, Leiter des Dresdner Instituts für Medien, Bildung und Beratung und Jörg Wagner, Medienjournalist und Redakteur sowie  Moderator des Radio Eins Medienmagazins.

Moderiert von Jörg Staude, stellten sich die beiden Gäste den Fragen, wie ein Rollenwechsel von hörenden Bürger*innen zu Sprecher*innen vollzogen werden kann und welche Ansätze es in der Vergangenheit dazu gab, die auf das jetzige Zeitalter der Digitalisierung übertragbar sind. Der Ausgangspunkt der Brechtschen Utopie von 1929, dass Massenmedien ein Sprachrohr des Volks sein könnten, um Diskurse zu organisieren und Debatten zu gestalten wurde dabei kritisch in einen ernüchternden Status quo eingebettet.

So beschrieb Hilker, dass gewachsene technologische Teilhabe den ebenfalls neu gewachsenen Grenzen von Meinungsbildung gegenüber stünde und forderte besonders von klassischen, öffentlich-rechtlichen Medien, sich diesen Anforderungen zu stellen, um demokratische Potenziale zeitgemäßer auszuschöpfen. Aktuell sei die Teilhabe zwar auf den ersten Blick groß, deren wirkliche Relevanz aber verschwindend gering. Gleichzeitig ginge für die Aufrechterhaltung zunehmend entfremdeter Arbeitsverhältnisse ein verstärkter turn der Medienlandschaft auf Unterhaltungsangebote einher. Aus diesen beiden Beobachtungen entwickelte Hilker die Forderung, dass der Rundfunk als Lieferant zurücktreten müsse, um stärker der freien, öffentlichen Willensbildung und damit der Demokratie zu dienen.

Im Austausch über die gemeinsame Geschichte beim DT64 veranschaulichte Wagner mit vielen spannenden Anekdoten eine konkrete Auslotung des partizipativen Potenzials der Radiokultur. Wagners Rückgriffe illustrierten das für den Sender wichtige Selbstverständns, eine kommunikative Plattform für ostdeutsche Jugendkultur zu bieten, zeichneten aber auch ein nostalgisches Bild, das zuweilen recht museal abgestellt wirkte. Insgesamt warf der Transfer vieler Ideen ins Jetzt einige Fragen auf, die nicht abschliessend beantwortet werden konnten. Wofür werden Medien genutzt? Wen imaginieren wir als ideale Bürger*innen, die selbst gestalten? Was bedeutet es, wenn Distributionsapparate zu Kommunikationsapparaten werden? Und wer macht heute eigentlich noch eine Sitzblockade, wenn Radios wegrationalisiert werden?

Gäste und Moderator beleuchteten den Aufbau neuer Strukturen dafür auf verschiedene Ebenen. Journalist*innen sollten zwangsläufig viel Zeit mit den Leuten verbringen, über deren Themen sie berichten. Dafür brauche es Kontakt statt Kommentarspalten. Neben dem Umdenken innerhalb der Medienschaffenden plädierten Wagner und Hilker für die Bereitstellung öffentlicher Gelder, u.a. um selbstverwaltete Radiostationen zu unterstützen und für die Schaffung von Bildungsgelegenheiten, um Medienkompetenz zu fördern. Auf der gemeinsamen Suche nach Antworten wurden sich die Gäste in diesem Punkt einig, denn: Zum Gestalten braucht es Werkzeug. #LiMA18

Autorin: Hannah Grüneberg

Das Gespräch zum Nachhören auf Soundcloud

Der Impulsvortrag von Heiko Hilker zum Nachlesen:

Brechts Radiotheorie und soziale Netzwerke 20180301 II