Interviews auf der #LiMA15

Teilnehmende des Workshops „Das perfekte Interview“ befragten am Dienstag und Mittwoch Dozenten, Organisatoren und Teilnehmenden zur LiMA, Medientheorie und Mobile-Reporting: Hier gibt’s die spannenden Ergebnisse. Interview #1

Interview #1

Mobile Reporting: Die Renaissance des Journalismus

Mit einem Smartphone kann jeder Journalismus ohne zusätzliche technische Ausstattung betreiben. Auf der LiMA Woche vermittelten Viviana Ureana und Mark Wagner (Gruppe Kameradisten) auf der Veranstaltung „So lange der Akku uns trägt“ – den Teilnehmern nützliche Skills und Tipps zur Nutzung des Mobile Reportings. Als einer, der die Veranstaltung leider verpasst hat, wollte ich von Viviana und Mark erfahren, was für Chancen sich für freie Journalisten durch Mobile Reporting ergeben.

Interview: Hasan Zeynalli

Hasan: Ist Mobile Reporting geeignet, um die gesellschaftliche Missstände aufzudecken?

Mark: Ja, es ist ein geeignetes Mittel und hat wie jede neue technische und gesellschaftliche Erscheinung sicherlich seine Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass Mobile Reporting die Berichterstattung gleichberechtigt macht. Der Journalismus war früher ein Beruf, der nur Wenigen zugänglich war. Heute steht er einer großen Anzahl von Leuten zur Verfügung. Wo viele Leute ihre Nase in Angelegenheiten stecken, ist die Chance größer, dass Missstände öffentlich werden.

Welche Themen könnten Ihrer Meinung nach von einem Mobile Reporter-Anfänger aufgegriffen werden?

Viviana: Es gibt unterschiedliche Ansätze, wie man an Themen rangeht. Zum Beispiel kann man Demos oder Veranstaltungen bekannt machen. Oder wenn man unterwegs ist und es geschieht was. Hauptsache man hat ein Handy dabei und weiß, wie man damit arbeitet.
Natürlich wird mobile reporting viel einfacher und schneller, wenn man ein wenig mit dem Handy geübt hat.

Besteht die Gefahr, durch Mobile Reporting ein verzerrtes Bild von Ereignissen in Umlauf zu bringen?

Viviana: Wir sollten uns die Frage stellen, ob wir nicht schon jeden Tag ein verzerrtes Bild mit den Informationen bekommen, die wir aufnehmen. Die Frage der Objektivität in der Berichterstattung hängt von der Ausgewogenheit ab. Ich bin persönlich der Meinung: je mehr darüber berichtet wird, was unterschiedliche Augen in der gleicher Situation sehen, desto mehr wird jedem Zuschauer klar, was verzerrt und was nicht verzerrt ist. Damit ist der Zuschauer imstande, selber zu entscheiden, welche Teile dieses Bildes subjektiv sind.
Mark: Bei Internet und Blogs kommt es darauf an, was der Träger des Mobile Reporting liefert, und wie das beim Rezipienten ankommt. In Blogs spielen Diskussionen eine größere Rolle. Die klassischen Mainstream-Medien verbreiten hingegen Informationen kraft ihrer Autorität.

Sehen Sie die Gefahr eines Verstoßes gegen Autorisierung-Vorschriften durch Mobile Reporting? Zum Beispiel wird im Netz ein manipulierter Bericht gepostet und er verbreitet sich schneller, als der Betroffene sich dazu äußern kann.

Viviana: Das glaube ich nicht. Natürlich kann alles passieren. Ich sehe den Verstoß gegen Autorisierungs-Vorschriften nicht als Gefahr, sondern als Lektion. Das passierte früher in Zeitungen. Da hatte man in der nächsten Ausgabe die Möglichkeit zur Replik. Sowas kam auch im Fernsehen vor – z.B. bei Jauch oder bei der Heute Show. Jemand wurde z.B. als NPD-Anhängerin dargestellt, die aber eigentlich eine linke Kämpferin in der Region war. Sowas kann einfach überall passieren.

Mark: Das ist wie im Straßenverkehr. Wenn Sie ein Fahrzeug ohne Nummernschild sehen, dann würden Sie misstrauisch sein. Das ist das Ergebnis eines Prozesses, bei dem bestimmte Selbstverständlichkeiten entstehen und der Bruch mit dieser Selbstverständlichkeit als unseriös wahrgenommen wird. Immer mehr Menschen geben sich aber als Urheber zu erkennen, um mehr Beachtung zu finden.

Gibt es also zwei Gruppen: die investigative linke und selbstorganisierte Berichterstattung von unten einerseits und die Gruppe des Skandal-Boulevard Mobile Reporting andererseits?

Viviana: Ich glaube, es werden in Zukunft mehrere Gruppen entstehen, die mobile reporting nutzen. Also ich wünsche mir, dass irgendwann ein Punkt erreicht wird, wo uns allen die Haltung des Trägers klar wird. Dabei wird Berichterstattung so transparent gemacht, dass jeder weiß, was und wer hinter einem Bericht steht.

Mark: Es gibt schlicht Qualitätsjournalismus und Boulevardjournalismus – auch mit Mobile Reporting.

Hasan Zeynalli – 31, Politikwissenschaftler. Er arbeitet derzeit an der Planung eines internationalen Künstlerprojektes.