Wo Bürger draufsteht, muss auch „von unten“ aufgebaut werden

Bewegungsgespräch über „künstliche und gesteuerte Bürgerinitiativen“- Tagungsband veröffentlicht

von Maximilian Staude

Konzerne und Co. stehen vor einem Dilemma, wenn es zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit Bürgerinitiativen oder Protestgruppen kommt: Viel Geld und den Draht zu politisch Verantwortlichen einerseits, aber oft kein sehr gutes Image und eine begrenzte bis gar keine Basis in der Bevölkerung andererseits.

Da liegt es doch nahe, einfach mit Geld und PR-Power seine eigene „Bürgerinitiative“ künstlich ins Leben zu rufen.

Um auf diese Strategie des „Astroturfings“ aufmerksam zu machen, hatten Lobbycontrol, Robin Wood, klimaretter.info und Linke Medienakademie im Herbst 2015 die Tagung „Konzernprotest“ organisiert. Rund 200 Teilnehmende erörterten einen ganzen Tag lang Strategien und Methoden, wie gänzlich oder teilweise fiktive Grassroots-Bewegungen erkannt und enttarnt werden können, unter anderem im Kohle-, Energie- oder Verkehrssektor.

Über die Tagung erschien jetzt, gefördert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, unter dem Titel „Konzern. Macht. Protest.“ ein Materialienband, der im Rahmen eines vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung organisierten Bewegungsgesprächs Ende Mai im taz-Café vorgestellt wurde. Im Gespräch debattierten Christina Deckwirth (Lobbycontrol), Daniel Häfner (FFU Berlin und Herausgeber des Tagungsbandes) und Ute Bertrand (Robin Wood) aktuelle Ereignisse, anhand derer der Kontext und die Schlagrichtung künstlicher Bürgerinitiativen aufgezeigt wurden.

Kurz vorher hatten tausende Kohlegegner der Aktion „Ende Gelände“ einen Lausitzer Tagebau besetzt und es durch die Besetzung der Zuliefergleise faktisch auch geschafft, das Kraftwerk Schwarze Pumpe lahmzulegen. Darüber berichteten nicht nur überregionale Medien – es entbrannte auch ein wahrer PR-Kampf zwischen Umweltaktivisten und regionalen Bürger“initiativen“, wovon einige von der Braunkohle- und der regionalen Wirtschaft unterstützt werden.

Das ging vor Ort mit ziemlich handfesten Auseinandersetzungen daher. Ute Bertrand, Pressesprecherin von Robin Wood, berichtete auf dem Podium von Aktivisten ihrer Organisation, die, unter Eisenbahnbrücken hängend, erst von rechten Hooligans beobachtet und dann mit Gegenständen beworfen wurden, so dass schließlich die Polizei zum Schutz der Aktivisten gerufen werden musste.

Damit fand in der Realität genau das Gegenteil statt, was zuvor von Vereinen wie „Pro Lausitz“ oder der „Lausitzrunde“, einem kommunalen Bündnis, propagiert worden war. Daniel Häfner, Sozialwissenschaftler und Herausgeber des Materialienbandes, zeigte anhand eines während der Anti-Kohle-Aktionen tausendfach aufgehängten Plakates sowie weiterer Quellen die Gegen-Strategie der Kohlebefürworter auf: Das Thema „Kohle“ selbst kommt nur am Rande vor, stattdessen wird auf Gewalt und Krawall durch auswärtige Protestierende „geframed“. Anstelle des Abbaggerns von Dörfern und der Verdrängung der sorbischen Minderheit wird von „Strukturpolitik“ und „Respekt“ gesprochen.

Häfner wies außerdem auf einen Unterschied zwischen den USA und Deutschland hin. Auf der anderen Seite des Atlantiks würden Lobbyorganisationen gefakte Grassroot-Gruppen nutzen, um auf politische Entscheidungsträger einzuwirken. Hierzulande gehe es eher darum, sich selbst gegenüber der Öffentlichkeit zu legitimieren und gegen „echte“ Bürgergruppen vorzugehen.

Auch für Christina Deckwirth vom Berliner Büro von Lobbycontrol, war offensichtlich, dass die brandenburgische Kohlelobby gezielt an der Kriminalisierung der Anti-Tagebau-Bewegungen arbeitet. Immerhin, räumte Deckwirth ein, sei bei „Pro-Lausitz“ auf deren Website relativ einfach erkennbar, dass u.a. Vattenfall hinter dem Verein stehe.

Im Falle der Bürgerinitiative „Unser Revier. Unsere Zukunft“ aus den rheinischen Kohlegebieten bedurfte es aber intensiver Recherchen von Lobbycontrol, um die dahinterstehende Lobby, u.a. der DEBRIV (Deutscher Braunkohle-Industrieverband) und der Ring Deutscher Bergbauingenieure, offenzulegen. Gleiche Postfächer und personelle Überschneidungen führten hier auf die Spur.

Offen bleibe allerdings in solchen Fällen, wer letztlich wie viel Geld gebe, damit die „Bürgerinitiative“ funktionieren könne. Deswegen fordert Lobbycontrol verschärfte Transparenz. Neben einem Lobbyregister müssten auch Stiftungen genauer in den Blick genommen werden, forderte Deckwirth und verwies auf das Beispiel der „Stiftung Familienunternehmen“. Diese genieße trotz offensichtlicher Aktivitäten im Bereich der Unternehmensbesteuerung weiterhin den Status der Gemeinnützigkeit. Das globalisierungskritische Netzwerk attac dagegen habe erst kürzlich diesen Status genau wegen solcher, allerdings entgegengesetzter politischer Aktivitäten von der Finanzbehörde entzogen bekommen.

Ein wesentlicher Vorteil für die Konzerne bei der Schaffung solcher Bürgervereinigungen, erläuterte Ute Bertrand, liege darin, hinter einer solchen Fassade nicht mehr als „Goliath“ wahrgenommen zu werden, der die „Davids“ von Umwelt- oder Bürgergruppen „erdrücke“. Auch für Regional- und Kommunalpolitiker lohne sich ein Engagement in einer künstlichen Grassroot-Initiative, um so der allgemeinen „Politikerverdrossenheit“ zu entgehen.

Natürlich, so waren sich die Diskutanten einig, überwiegten in der politischen Realität Mischformen. Dass sich Kohlemanager auch in ihrer Freizeit überzeugt für ihre Weltsicht einsetzen würden, könne man ihnen nicht pauschal absprechen. Und natürlich sei nicht überraschend, dass die Gewerkschaften, allen voran die Kohlegewerkschaft IG BCE, sich für die Arbeitsplätze in der Kohlewirtschaft stark machten.

Häfner hielt diese Argumentation aber für grundsätzlich fragwürdig. Pro-Lausitz und Co. versuchten, im „vorpolitischen Feld“ eine Identität als „Braunkohleregion“ aufzubauen, obwohl es bei zirka einer Million Einwohner in der gesamten Lausitz nur noch um rund 8.000 Arbeitsplätze gehe. Über die Transformation der Wirtschaft in die Post-Kohle-Zeit werde viel zu wenig diskutiert, obwohl bereits Geld dafür vom Bund und der EU bereitstehe.

Auf besondere Empörung im Publikum stieß, dass sich im Rahmen der „Lausitzrunde“ speziell Kommunalpolitiker selbst eine Öffentlichkeit für ihre Pro-Kohle-Politik künstlich erschaffen würden. Eine Zuhörerin berichtete auch von einer Anti-Kohlekundgebung im Regierungsviertel in Berlin. Diese Demo, fand man durch Gespräche heraus, bestand aus Vattenfall-Mitarbeitern, die dafür einen Tag frei und die Reisekosten erstattet bekamen „Etikettenschwindel darf nicht sein“, stellte schließlich Bertrand klar, es gäbe auch in der Politik einen „Konsumentenschutz“. Wo „Bürger“ draufstehe müsse auch „von unten“ aufgebaut werden.

Einig war sich die Runde am Ende auch, dass das Phänomen des Astroturfing und künstlicher Bürgerbewegungen gerade in Zeiten sozialer Medien an Bedeutung gewinne – ob und wie die Beschäftigung mit dem Thema weitergeht, ist aber noch offen.