Welchen „Wert“ besitzten Berichterstattung und Co. noch in der digitalen Gesellschaft?
Journalismus in Zeiten des Internets, Journalismus in der Krise, Journalismus im Wandel – das sind die Dauerthemen in der Mediendebatte. In Kooperation mit dem Deutschen Pressemuseum brachte die Friedrich-Ebert-Stiftung dazu journalistische Praktiker auf das Podium.
Einleitend fragte Moderator und freier Journalist Kay Walter schlicht wie provokativ:
Ist Journalismus heute eine Ware wie jede andere?
Res Strehle, Chefredaktor des Züricher „Tages-Anzeigers“ widersprach. Information, Recherche und Co. seien, ungeachtet existierender Verwertungslogiken, natürlich ein Kulturgut. Stefan Niggemeier, Medienjournalist und Blogger, dreht dies sogleich pointiert um. „Manchmal wünsche man sich sogar, dass es eine Ware wäre“, stellte er mit Verweis auf die schwierige Situation speziell der freien Journalisten fest. Sinkende Honorare oder gar keine Aufträge und der damit verbundende Druck auf die Unabhängigkeit der Arbeit – diesen Diagnosen über die „Freien“ wollte in der Runde niemand widersprechen.
Claudia Nothelle, Programmdirektorin des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), übte sich in Offenheit. Dem RBB stünden 440 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Damit könne man beide Bundesländer auch in der Fläche abdecken. „Wir wollen in der Region präsent sein und berichten“, bekräftigte sie unter Verweis auf den Auftrag durch den Rundfunkstaatsvertrag. Gleichwohl sehe sich eine kleine Anstalt wie der RBB im Vergleich zum ZDF auch unter Kostendruck. Neben niedrigeren Honoraren stellten sich in der Praxis Fragen wie, ob man sich noch einen weiteren Recherchetag leisten könne. Darüber hinaus müsste der Fernseh- oder Rundfunkjournalist eigentlich in der Lage sein, auch mal etwas nicht zu senden. In der Praxis herrsche aber eben oft das Motto: „Können wir das nochmal verwerten?“
Außerdem drehte sich die Debatte um die Frage der Qualität in der digitalen Medienwelt. Flamina Bussotti, langjährige Korrespondentin der italienischen Nachrichtenagenur ANSA, sieht durch Internet und die höhere Geschwindigkeit im Medienbetrieb eine fortschreitende Boulevardisierung. Um Aufmerksamkeit und Auflage zu generieren, setzten die Medienmacher gerne auf „billige“ Inhalte – und die freien Journalisten müssten mitziehen, um noch gedruckt zu werden. Der Journalismus habe sich in seiner Arbeitsweise den Nachrichtenagenturen angenähert – die Konsumenten wollten „Fast Food, Fast News“. „Wichtig ist, du schmeißt Sachen ins Netz.“, kommentierte Bussotti die um sich greifende Mentalität in den Redaktionen. Wobei diese Entwicklung in Italien noch drastischer sei als in Deutschland. Vielleicht käme am Ende des Wandels ein „pfiffigerer, besserer Journalismus“ hervor. Zurzeit herrsche aber die Angst vor, ob man das andere Ufer erreichen werde. Das ANSA-Regionalbüro in Wien, das Bussotti leitete, war im Zuge von Sparmaßnahmen 2011 geschlossen worden.
Niggemeier zeigte sich zuversichtlicher. Die BILD-Zeitung könne aufgrund ihrer Reichweite zwar eine boulevardeske Linie durchziehen. Gerade durch das Internet steige aber der Druck auf die übrigen Medien, in die Tiefe zu gehen, um sich noch zu unterscheiden. „Wenn Leser zahlen müssen, dann muss man auch Qualität bieten“, prognostizierte Niggemeier. Aktuell befinde man sich freilich in einer schwierigen Zwischenphase: „Die alten Finanzierungsmodelle funktionieren nicht mehr, die neuen bringen noch nicht genug ein“.
Auch Res Stehle äußerte sich grundsätzlich optimistisch: „Journalismus ist wie Leichtathletik. Es gibt alle Strecken.“ Er verwies zudem auf die Auswertungen des Online-Auftrittes seiner Zeitung. Tiefe und lange Geschichten würden viel geklickt. Durch das Internet sehe man zudem, was die Leute wirklich interessiere – im Gegensatz zu früher, wo bei Befragungen zum Medienkonsum die Menschen nur immer so geantwortet hätten, um im Endeffekt selbst gut dazustehen. Qualität brauche aber heute auch Transparenz, fügte Stehle an. Es müsse für den interessierten Konsumenten klar erkennbar sein, wo die Berichterstattung eines Medienangebotes über die Agenturmeldung hinausgeht.
Dass es angesichts der Komplexität der heutigen Themen wohl angeraten sei, zumindest zwei Menschen an einem Beitrag arbeiten zu lassen, tauchte mehrmals in der Diskussion auf. „Einer Alleine kriegt es nicht mehr hin“, lautete das Fazit von Stehle auch im Hinblick auf die Makroebene. Er warb für eine europaweite Kooperation verschiedenerer Zeitungen im Sinn eine Großredaktion („Dossier-Kompetenz“).
Schließlich durfte natürlich in einer Mediendebatte im Jahr 2015 ein Thema wieder nicht fehlen: Die vermehrte „Rückspiegelung“ durch die Leser. Oder wie es Moderator Walter ausdrückte: „Die Shitstorms, gerne von Leuten mit viel Zeit, aber nicht viel Wissen“. Allerdings hätten, so Walter, wohl auch die Redaktionen sich viel zu lange zurückgelehnt, unter dem Motto: „Was wir schreiben, ist die Wahrheit.“
Besonders würden, da war sich die Runde einig, die Auslandskorrespondenten viel kritischer beobachtet als früher. Heute erwarteten die Leser bzw. Zuschauer nach der Nachricht gleich die Analyse sowie mehr Klarheit über die Quelle und Gesprächspartner.
Die Leute haben genug vom „Missionierungsjournalismus“, stellte Stehle fest. Nothelle verteidigte eine gewisse ideologische Grundhaltung: „Ich erwarte, dass Journalisten auf dem Bodens unseres Wertesystems stehen“.
Maximilian Staude