Ohne Rast. Ohne Eile.

Die politische Linke Europas sieht schon seit einigen Jahren sehnsüchtig nach Südamerika und den dortigen Aufstieg linker Bewegungen. Doch was bedeutet dort antikapitalistischer Protest auf regionaler Ebene? Was treibt die Menschen an, die zuweilen ihre Leben riskieren?

Darüber berichtet „Ohne Rast. Ohne Eile“, der neue Dokumentarfilm der Filmgruppe Kameradisten. Er feierte Ende letzter Woche seine Premiere in einem fast vollbesetzten Saal des Berliner Kino ACUD.
Der Film taucht ein in die kleinbäuerlich-indigene Protestbewegung MOCASE in der argentinischen Provinz Santiago del Estero. Diese richtet sich gegen den Landraub durch Großgrundbesitzer und Großkonzerne, der den Menschen ihre Lebensgrundlage raubt. Für den großflächigen Sojaanbau werden die Wälder abgeholzt, einheimische Samenarten patentiert, Gen-Pflanzen („GVO-Soja“) und in massivem Maße Pestizide („Roundup“) eingesetzt. Ein vor Ort forschender französischer Agrar-Biologe stellt dazu lapidar fest, dass damit nicht der Hunger eines einzigen Armen gestillt werde. Vielmehr landeten die Soja-Massen in den Futtertränken der Schweine- und Rinderfarmen in den entwickelten Ländern, insbesondere in China.
Im Jahr 2011 wurde ein Mitglied der MOCASE-Bewegung, Cristian Ferreyra, von Wachpersonal der Landbesitzer erschossen. „Die Toten treiben uns an“, erklärt eine MOCASE-Vertreter. Im Bau befindlich sind außerdem eigene Schulen und eine Universität zur agrar-ökologischen Ausbildung. Von der mit der Agrarindustrie verbandelten Politik erwartet hier niemand Hilfe. Stattdessen gilt: „In unserer Zeit kann kein Einzelner die Welt verändern, nur die Gruppe.“

„Ohne Rast. Ohne Eile“ ist der Nachfolgefilm von „Sachamanta“, in dem die Kameradisten bereits die Vernetzung der bäuerlich-indigenen Gemeinschaften durch den Aufbau eigener Radiostationen dokumentieren. „Wir glauben nicht an die objektive Berichterstattung, wir sind subjektiv“, stellte Regisseurin Viviana Uriona in der anschließenden Diskussion fest. „Wir begleiten eine Gruppe, die ansonsten nicht vor der Kamera steht“. Im Gegensatz zu anderen dokumentarischen Arbeitsweisen legten die Kameradisten nicht vorher fest, mit wem sie sprechen müssten, um welche Antworten zu erhalten. Stattdessen forme sich die erzählte Geschichte erst im Zuge der Sichtung des gedrehten Materials, so Uriona.
Gewöhnungsbedürftig ist der Verzicht auf die üblichen Einblendungen von Namen und Funktion der interviewten Personen. Erst im Abspann erscheint eine entsprechende Auflistung. Die Idee dahinter ist einfach: Die Funktion der Person soll das Gesagte nicht von vornherein „überlagern“ – beispielsweise der ältere Mann mit Brille, der hinter einem getäfelten Tisch über die Vorbildfunktion der bolivianischen Verfassung („Nicht nur der Mensch, auch die Erde hat dort Rechte“) doziert, oder das vor ihrer einfachen Hütte sitzende, Mate-Tee trinkende Bauernehepaar und der redselige LKW-Fahrer, der die aristotelische (westlich-koloniale) und sokratische (revolutionäre) Philosophie gegenüberstellt. Tatsächlich funktionieren diese Szene auch ohne weitere Erläuterung, ohne interaktive Grafiken oder den sich ins Bild drängenden Reporter.

„Ohne Rast. Ohne Eile“ lässt seinen Protagonisten Zeit und Raum zum Reden und der Zuschauer bekommt eine Ahnung von der Motivation, der Kraft und der Energie der Bewegung.

Rezension von Maximilian Staude

Kinos, die „Ohne Rast. Ohne Eile“ zeigen wollen, können einfach per Email Kontakt mit den Kameradisten aufnehmen. Wichtig ist ihnen die Möglichkeit eines Austausches mit den Zuschauern nach der Filmvorführung.

Weitere Informationen zum Film und Kontaktmöglichkeiten: http://www.kameradisten.org/ohne-rast-ohne-eile/
Homepage von MOCASE: http://www.mocase.org.ar/