Journalisten, Animateure und Oberlehrer

„Ich bin auf vielen Podien, um zu sagen, ich lüge sie nicht an“, rief Jörg Quoos letzte Woche in die übervollen Räumlichkeiten der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin hinein. Quoos, einer der wichtigsten Chefredakteure des Landes, sitzt der Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe (WAZ, WR, NRZ, OST etc.) vor. Solche „Zentralen“ waren in den letzten Jahren infolge der Umstrukturierungen im Mediensektor verstärkt entstanden. Die „Mantel“teile für die Zeitungen eines Verlages werden einheitlich erstellt, die Blattredakteure produzieren nur noch die Regionalteile.

Dass Quoos ein solches Bekenntnis von sich gab, zeigt, dass die Pressebranche nicht nur nach neuen Geschäftsmodellen sucht, sondern auch ein Glaubwürdigkeitsproblem hat – und die Journalisten dies auch erkannt haben.

So groß wie der Andrang zur neuesten Podiumsrunde des Mainzer Medien Disputes (Titel: „Wie kommt das Neue in den Journalismus?“ ) war, so überladen war auch die Diskussion. Sechs Podiumsteilnehmer, plus redefreudigem Moderator, plus ausführliches Grußwort, plus Publikumsbeiträge… Weniger wäre mehr gewesen.

So lag denn ein wenig Ironie in der Luft, als Moderator Thomas Leif (SWR) Ausführlichkeit und Breite in der Berichterstattung als wichtige Kernkompetenz von gutem Journalismus herausstellte – nachdem er zuvor Kommunikations-Forscher Hans-Jürgen Arlt aufgefordert hatte, doch bitte in wenigen „knackigen“ Sätzen die Situation des Journalismus auf den Punkt zu bringen.

Arlt erbat von Leif zwei Minuten Redezeit und stellte klar: „Es muss mehr Journalismus in den Journalismus“. In der Medienbranche sei neben Werbung, PR, Unterhaltung und Journalismus („das kränkliche Kind“) in letzter Zeit eine fünftes, das „verlogene Kind“ hinzugekommen: Die Animationsarbeit, die nur Aufmerksamkeit erzeugen und nicht informieren will. Durch den ökonomischen Druck in der Branche drohe das vermehrte Umkippen hin zur Aufmerksamkeitsproduktion.

Beispiele aus der Praxis? In der Runde fielen die Namen der Online-Plattformen Buzzfeed und Vice… und schließlich auch Focus-Online. Bei letzterem handelt es sich laut dem freiberuflichem Journalisten Stefan Niggemeier um eine „Tarnung als Journalismus“, dessen Erfolg ihn schon ein bisschen verzweifeln lasse.

Die Diskussion ging hier nahtlos zum berüchtigten Schlagwort der „Lügenpresse“ über. Einigkeit herrschte unter auf dem Podium bei der Unterscheidung zweier Gruppen.

Zum Ersten sind das diejenigen Menschen, die gar keine „Lügenpresse“ mehr konsumieren würden und nur destruktiv das „alte System“ zerstören wollten. Diese Gruppe sei auch nicht mehr zu erreichen, gegen die müsse man „die Rüstung anziehen“, wie Jörg Quoos es formulierte.

Anders sieht es bei der zweiten Gruppe aus. Wie kann man diejenigen zurückgewinnen, die nur enttäuscht oder verärgert sind über den Tenor der oder „weiße Flecken“ in der Berichterstattung?

Dass Medien neuerdings gerne „Hausbesuche“ bei ihren Lesern durchführten, ist für Niggemeier zwar gut gemeint, aber auch ein Akt der Verzweiflung. Offenbar sei den Medienmachern in den letzten Jahrzehnten ihr Publikum wohl völlig egal gewesen.
Ganz offen bekannte Quoos, dass Auflage und Zitierungen die „Benchmarks“ des Printjournalismus seien. Allerdings müssten Journalisten heute dringend den Gestus des „Oberlehrers“ gegenüber den Lesern ablegen. Selbstbewusst verteidigte er das Zentralredaktionsmodell auch als Teil der Strategie, „in das Produkt zu investieren“. Denn mittels der gebündelten Ressourcen könne man nun zum Beispiel besser vor Ort in Berlin oder, aktuell, an der griechisch-mazedonischen Grenze präsent sein.

Dem widersprach aus dem Publikum der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall. „Uns wird immer gesagt, wir werden jetzt weniger einsetzen, aber besser werden…“, formulierte er sein Missfallen. Auch Podiumsteilnehmer Georg Löwisch, Chefredakteur der TAZ, zeigte sich wenig begeistert. Denn gerade Vielfalt und Pluralität würden dafür sorgen, dass es eben weniger „weiße Flecken“ in der Berichterstattung gäbe.

Den Wandel bei seinen Blatt beschrieb Löwisch wie folgt: „Früher hatten wir einen großen Tanker, das Wochentagsabo von Montag bis Freitag, heute einen ganzen Flottenverband“ und zählte die verschiedenen Vertriebs- und Produktoptionen seines Hauses auf. Da die TAZ ohnehin immer stärker im Kreuzfeuer der Kritik gestanden hätte, würden die „Lügenpresse“- Vorwürfe nicht so ganz neu sein.

Ebenfalls um Zuversicht bemüht war die stellvertretende Spiegel-Chefredakteurin Christine Stropp. Natürlich habe man weniger Leserschaft als vor zwei Jahrzehnten, aber Print, Online und Fernsehen zusammen hätten aktuell weit mehr als die Konkurrenz. Ihr Magazin könne noch ausreichend Korrespondenten in die Welt hinaus schicken, was natürlich in vielen anderen Redaktionen nicht mehr der Fall sei. Fehlende Inhalte würden dann mit „seelenloser“ Animation überdeckt. Gedanken müssten sich die Zunft der Journalisten außerdem darüber machen, ob sie noch Kontakt zu anderen Schichten der Gesellschaft als der ihren hätten.

Weniger Reichweite als Focus oder Spiegel hat Niggemeiers neue medienkritische Bezahlplattform „Übermedien“. Es sei sein erstes Projekt mit einem „richtigen Geschäftsmodell“, so Niggemeier, „Wir formieren uns über unser Leser“. Derzeit habe man rund 1400 Abonnenten, ein paar Tausend wären „ganz gut“. Die Unabhängigkeit von den etablierten Verlagen halte er für eine notwendige Bedingung, um wirklich medienkritisch berichten zu können. Bezeichnenderweise sehe er sich in letzte Zeit allerdings mehr in der Rolle des Medienverteidigers gegen eine „hysterisch überdrehte“ Pauschalkritik.

Als sich zum Schluss aus dem Publikum eine ARD-Online-Redakteurin sowie eine bekannter ARD-Journalist in die Debatte einklinkten, musste sich schließlich Quoos nochmal Luft machen. „Weißen Flecken“ kreide er allem den öffentlich-rechtlichen Medien an. Der WDR mit seinen 8000 Mitarbeitern habe doch von der Silvesternacht in Köln nichts mitgekriegt.

Niggemeier kommentierte dies mit der Feststellung, dass Journalisten Medienkritik leider immer noch primär als Boxkampf verstünden, bei dem man zurückkeilen müsse.

von Maximilian Staude

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