Sich mit den Mächtigen anlegen

Investigative Journalisten, Whistleblower und Hacker sind
natürliche Verbündete in Sachen Informationsfreiheit.
Ein Interview mit Gavin MacFadyen vom Londoner Centre for Investigative Journalism

Investigative Journalisten recherchieren weltweit politische Skandale,
kriminelle Machenschaften, stellen geheime Dokumente ins Netz.
Mittlerweile arbeiten viele von ihnen eng mit Whistleblowern und Hackern
zusammen. Ausgerechnet große und damit mächtige Medienhäuser verzichten
aber auf kritische Berichterstattung. Gavin MacFadyen ist Direktor des
Londoner Centre for Investigative Journalism. Mit ihm sprach Susanne
Götze.

Herr MacFadyen, Sie laden in einer Woche hunderte investigative
Journalisten und Hacker nach Berlin ein. Ist die deutsche Hauptstadt ein
guter Ort »die Macht herauszufordern«?

Ja, Berlin ist ein ausgezeichneter Ort dafür. Die journalistische
Qualität wird hier sehr hoch gehalten. Gleichzeitig gibt es eine sehr
aktive technische Community, wie beispielsweise den Chaos Computer Club.
Während der vergangenen 25 Jahre ist in Berlin eine sehr aktive und
einzigartige Computerszene herangewachsen. So etwas gibt es kein zweites
Mal in Europa. Die wiederum unterstützen die Journalisten mit ihrem
Wissen – was ihre Sicherheit und ihre Storys betrifft.

Was haben Hacker, Whistleblower und Journalisten gemeinsam?

Hacker werden immer öfter zu Opfern des Systems. Sie sind das Ziel
zahlreicher Angriffe von Regierungen und Unternehmen, werden in den
Selbstmord getrieben oder für Jahrzehnte ins Gefängnis gesperrt. Hacker
werden dafür angegriffen, wofür auch Journalisten fertiggemacht werden.
Beide Gruppen haben ein Ziel: Sie wollen die Informationsfreiheit
weltweit stärken. Sie müssen sich deshalb in der heutigen Welt
gegenseitig helfen.

Wie genau arbeiten Hacker mit Journalisten zusammen?

Hacker und Whistleblower stellen nicht nur Informationen ins Netz oder
hacken Großcomputer, sondern sie können Journalisten auch vor
Überwachung schützen. Denn die Privatsphäre, die es früher gab,
existiert einfach nicht mehr. Hacker werden deshalb immer wichtiger. Sie
haben das Wissen und die technische Praxis, den verlorenen Schutz für
Journalisten wieder herzustellen. Deshalb müssen Journalisten und Hacker
Werte wie Pressefreiheit und die Freiheit zur Verbreitung von
Informationen gemeinsam verteidigen.

Sie arbeiten seit über 30 Jahren als investigativer Journalist – was
hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Vor 30 Jahren war investigativer Journalismus ein Mainstream-Phänomen.
In fast allen Mainstream-Medien und Sendern gab es Journalistenteams,
die ausschließlich für investigative Berichterstattung zuständig waren.
Ich habe für viele solcher Programme für diese großen Medien gearbeitet.
Die Redakteure wurden von ihren Zeitungen und Sendern selbst zu
investigativen Journalisten ausgebildet. Die Kompetenzen waren
dementsprechend exzellent. Das alles gibt es so nicht mehr. In
Frankreich und in Deutschland findet man noch investigative
Berichterstattung bei vereinzelten Medien, aber in Großbritannien und
den USA gibt es in den großen Medien nichts mehr dergleichen.

Woran liegt das?

Der Druck auf die Medien ist zu groß. Wenn Einschnitte gemacht werden
müssen, dann streicht man zuerst bei den Investigativen. Denn sie sind
am teuersten: Sie brauchen viel Zeit und Geld.

Dafür gibt es immer mehr Medien-Startups, wie Correctiv in Deutschland
oder Mediapart in Frankreich, die abseits der großen Medien fleißig
recherchieren.

Ja, das ist eine interessante Entwicklung. Die Mainstream-Medien sind
oft sehr konservativ und haben große Angst vor dem Staat. Sie wissen,
dass es sehr gefährlich ist, Missstände in der Regierung öffentlich zu
machen. In Deutschland ist man im Vergleich zu anderen Ländern noch
vergleichsweise mutig. Bei uns ist das ganz anders: Große britische
Medien wie der linksliberale »Guardian« haben Dokumente von Edward
Snowden zugespielt bekommen. Aber wenn es schwierig wird, machen sie
immer einen Rückzieher. In diesem Fall gab es enormen Druck von den USA
und dem britischen Geheimdienst, die Papiere nicht weiter zu
veröffentlichen. Seit Monaten und mittlerweile Jahren haben sie nichts
mehr von Snowden publik gemacht – dabei könnten sie Dokumente innerhalb
von wenigen Minuten haben.

Heute ist es also gefährlicher als früher, investigative Storys zu
recherchieren?

Ja, in vielen Teilen der Welt ist es verdammt gefährlich. Wenn Sie als
Journalist nach Afghanistan, Syrien, nach Jemen, Lateinamerika oder in
viele afrikanische Länder fahren und eine Story machen, besteht Gefahr
für Leib und Leben. In Europa und den USA haben sie subtilere Methoden
der Einschüchterung, als in anderen Teilen der Welt. Der Grad der
Überwachung ist sehr hoch und jeder Zivilist inklusive der Journalisten
wird zu einem potenziellen militärischen Ziel. Gefährlich ist es also
überall, wenn man sich mit den Falschen anlegt.

Besonders die USA sind bei Whistleblowern für ihre Härte bekannt.

In den USA sitzen viele Hacker im Gefängnis. Oft haben sie nur kleinere
Sachen publiziert, wie Unterlagen von Universitäten. Andere haben sich
wirklich mit der Regierung angelegt und sitzen wie Chelsea Manning nun
für 35 Jahre im Gefängnis. Das ist nur einer der bekanntesten Fälle,
aber es gibt Hunderte. Die Strafen für Hacker und Journalisten werden
immer strikter, gleichzeitig hört man von diesen Vorfällen immer
weniger. Und auch in den USA werden Journalisten immer noch auf offener
Straße erschossen.

Journalisten genießen einen rechtlichen Schutz im Sinne der
Pressefreiheit – wie sieht es mit Whistleblowern und Hackern aus?

Schlecht. Vor allem Deutschland hinkt bei beim rechtlichen Schutz immer
noch hinterher. Der Status von Whistleblowern und Hackern ist hier sehr
schwach. Derzeit gibt es die große Debatte, ob diese beiden Gruppen auch
unter den Paragrafen der Pressefreiheit zu fassen sind. Besonders Hacker
werden aber oft als Staatsfeinde wahrgenommen – vor allem in den USA.
Selbst wenn sie der Gesellschaft wirklich nützliche Informationen geben,
leben sie sehr gefährlich.


Haben Sie einen Rat für Journalisten, die investigative Recherchen
machen wollen?

Wenn Sie Enthüllungsjournalist sind, müssen Sie ihre Tür immer offen
lassen. Das heißt, dass Menschen, die geheime Informationen haben,
jederzeit zu ihnen kommen können und sich sicher fühlen. Sie müssen
einen Sinn dafür entwickeln, wo etwas falsch läuft, und sich dann Fragen
stellen. Es geht darum, Lügen und Täuschungen aufzudecken. Gerade den
jungen Journalisten kann ich nur raten: Folgt eurer Nase und eurem
kritischen Sinn.

erschienen im ND 8/3/2016: 08_03_2016_a_6_40f60ec573

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