Soll Feminismus abgetrieben werden?

Unter dem Titel „Mein Körper, meine Entscheidung – Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verteidigen“ luden die Grünen zur Podiumsdiskussion ein, um sich kritisch mit dem für das Wochenende angekündigten „Marsch fürs Leben“ auseinanderzusetzen.

Gegen den Islam“, „für mehr Überwachung“ und „undurchlässige Grenzen“ zu – diese Punkte kommen einem zuerst in den Kopf, wenn es um die Ziele der AfD geht. Doch wissen die Wähler*innen, dass es bei der AfD um viel mehr als nur die Flüchtlingsdebatte geht? Im Wahlprogramm spricht die Partei sich unter anderem aus für die Beibehaltung der „Deutsche(n) Leitkultur statt Multikulturalismus“, für ein „Bekenntnis zur traditionellen Familie als Leitbild“ sowie für eine „Gesetzeskorrektur“, um Abtreibungen zu erschweren oder bestmöglich ganz abzuschaffen.

Flankierend dazu marschieren jedes Jahr christliche Fundamentalist*innen, Konservative und extreme Rechte mit ihren weißen Holzkreuzen „für das Leben“, wie sie sagen. Am 17. September 2016 findet ein weiterer „Marsch für das Leben“ in Berlin statt. Vermutlich ganz vorne mit dabei: Beatrix von Storch. Promivertreterin, Aktivistin der „Lebensschützer“ und stellvertretende Bundessprecherin der AfD. Insbesondere in Berlin werden deshalb die AfD und die Abtreibungsgegner*innen miteinander in Verbindung gebracht.

Über die Allianz wurde kürzlich in Berlin auf Einladung der Grünen im beta-Haus Kreuzberg diskutiert unter dem Titel „Mein Körper, Meine Entscheidung – Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verteidigen“. Welche Akteur*innen gibt es bei dem Diskurs um sexuelle Selbstbestimmung? Welche frauenpolitischen Forderungen bestehen? Wie wir diese nicht nur verteidigen, sondern wie wir zukünftig voranschreiten sollten, um konservative, antiquierte Lebensmodelle und Rollenverständnissen entgegen zu wirken – darum ging es an dem Abend.

Der Aufstieg der AfD, die Zunahme antifeministischer und frauenfeindlicher Positionen und dass trotz Frauenbewegungen Abtreibung wieder zum Thema gemacht werden muss, zeigt für Gesine Agena, die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, dass wir es mit einem „politischen Rollback“ zu tun haben. „Der gesellschaftliche Konsens sei noch nicht so weit, wie wir meinen“.

Immer öfter begegnen uns Hetze gegen die Gender-Forschung, gegen die Ehe für alle und die Selbstbestimmung der Frau. „Es war zu lange ruhig“, wirft Ines Scheibe, Aktivistin im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und Leiterin der Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beim Humanistischen Verband Deutschlands, ein. Das läge daran, dass bei einer Befragung 67 Prozent der Meinung waren, dass der Schwangerschaftsabbruch bereits legalisiert wurde. Doch tatsächlich ist dieser im Abschnitt „Straftaten gegen das Leben“ im § 218 im Strafgesetzbuch geregelt und wird somit kriminalisiert.

Auch bei der „Pille daach“ geben es noch Handlungsbedarf. „Solche Pillen sind schließlich keine Smarties“, wandte CDU-Politiker Jens Spahn im Jahr 2013 ein, als es um die Aufhebung der Rezeptpflicht für hormonelle Verhütungsmittel ging. Welche Frauen würden nicht auch beim Ausruf der Rezeptfreiheit augenblicklich, ohne darüber nachzudenken, die Türen der Apotheke einrennen, um sich ihre Smarties gegen Schwangerschaft zu besorgen?

Selbstverständlich ist die Frau, war man sich auf dem Podium einig, wie jedes andere Geschlecht, nicht nur von Rationalität, sondern auch von gelebter Sexualität und Emotionalität geleitet. Dennoch werden ihr diese Eigenschaften abgesprochen, indem über den Körper der Frau bestimmt wird und er als Prozessionsfläche patriarchaler Macht dient.

Die Änderung der gesetzlichen Lage wäre einer vieler Schritte, die man gehen müsste. Die Entwicklung sei eingeschlafen. Man müsse an dem Status quo anknüpfen und weiter machen, betonte Gesine Agena. Eine kultursensible Aufklärung über die geeigneten Verhütungsmittel und der Nutzung der „Pille danach“ müssten gefördert werden. Außerdem dürfe nicht mehr passieren, dass ein kirchliches Krankenhaus in dieser säkularisierten Zeit die Abtreibung aufgrund von christlichen Wertvorstellungen verweigern darf.

Es ist immer die Entscheidung der Frau, es ist immer die Entscheidung Mutter zu werden“, bestätigt Ines klar zum Ende hin. Machtstrukturen und Männer dürften die Frau in keinem Fall einschränken und es müssen sich queer-feministische, progressive Positionen sich den christlichen Fundamentalist*innen und Parteien wie der AfD entgegenstellensei es politisch-inhaltlich bei einer Podiumsrunde oder sei es am 17. September auf den Straßen Berlins.

 

von Eleonora Han

Foto: © gruene.de (CC BY-NC 3.0)