Offener Kanal und freies Radio statt „Postkarten“-Journalismus?

[Foto von Radiofabrik – Community Media Association Salzburg, Lizenz: CC BY 2.0]

Friedrich-Ebert-Stiftung befasste sich mit der Zukunft der Bürgermedien. 

„Offener Kanal“, „Freies Radio“ oder „Bürgerrundfunk“ – so bezeichnen sich, zumeist um den Regions- oder Stadtnamen ergänzt, nichtkommerzielle lokale Medienangebote. Als Dritte Säule neben den öffentlich-rechtlichen und den kommerziellen Angeboten gehören sie seit über 30 Jahren zur deutschen Medienlandschaft.

Angesicht der vielzitierten Krise der „traditionellen“ Medien im Zeitalter der Digitalisierung stellt sich die Frage, wie es denn mit diesen nicht-kommerziellen Radios und Fernsehsendern weitergeht? Damit beschäftigte sich eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) organisierte Tagung Mitte November in Berlin. Neben Kurzreferaten und Podiumsdiskussionen präsentierten sich dabei auch Bürgermedien vor Ort.

Kurt Beck, FES-Vorsitzender und rheinland-pfälzischer Ministerpräsident a.D., betonte einleitend die tiefe Verbundenheit mit den Bürgermedien. Demokratische Teilhabe bedürfe objektiver Berichterstattung und diese wiederum eine Breite in der Darstellung. In den weiten Teilen Deutschlands mit nur noch einer regionalen Tageszeitung füllten Bürgerfunk – und -Fernsehen die entstandene Informationslücke.

Das Internet mache die Bürgermedien dabei nicht überflüssig. Im Netz gäbe es „viele Informationen, die keine Informationen sind, sondern Indoktrinationen“, dozierte Beck und teilte zugleich gegen die Privatmedien aus. Mit teilweisen „abstrusen Argumenten“ führten eine große, allbekannte Zeitung und ein „bürgerliches Blatt aus Frankfurt“ Attacken gegen das Finanzierungsmodell der öffentlich-rechtlichen Medien. Wenn jene aber fielen, würden die Bürgermedien ihnen kurz darauf folgen, warnte Beck.

In erster Linie vertraten dann Wolfgang Ressmann und Uwe Parpart vom Bundesverband Bürger- und Ausbildungsmedien e.V. die Perspektive der Bürgermedien. Diese, so lautet ihre Fazit, bildeten die Grundstruktur lebendiger regionaler und lokaler Berichterstattung, auch weiterhin in Zeiten des Internet. „Seriöse Meinungsbildung ist nicht der Like bei Facebook“, betonte Ressmann. Und natürlich würden Menschen zu Medienberufen animiert und auch ausgebildet. Damit dies in Zukunft auch so weitergehen könne, brauche es aber ausreichende und vor allem verbindliche Finanzausstattung.

Aktuell sei man aber von den Landesmedienanstalten abhängig. Mit der Aussicht, alle vier Jahre neu um Lizenzen und Finanzierung zu kämpfen, ließen sich nur schwer zum Beispiel Festanstellungen anstelle der allgegenwärtigen Ehrenämter einführen.

Mit Jochen Fasco, Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt, war gleichwohl ein ausgesprochener Freund der Bürgermedien anwesend. Gerade beim Flüchtlingsthema und kritischer Berichterstattung über Pegida und Co. könnten sich diese profilieren und ihre Relevanz zeigen, so Fasco. Integration geschehe bekanntlich auf lokaler Ebene. Da die Bürgermedien aufgrund der föderalen Struktur in allen 16 Ländern Klinkenputzen gehen müssten, mache das ihre Lobbyarbeit natürlich schwierig.

In die gleiche Kerbe schlug Heike Raab, Staatssekretärin u.a. für Medien in Staatskanzlei Rheinland-Pfalz. „Rundfunkpolitik ist die letzte Bastion der Länder“, stelle sie lapidar fest. Ihr Bundesland setzte sich zwar vehement für Bürgermedien ein, würde aber immer wieder gefragt werden, warum das überhaupt sein müsse.

Den Bürgermedien empfahl sie mehr Werbung über die Sozialen Medien. Internet-Suchmaschinen bevorzugten nämlich kommerzielle Angebote und Smart-TVs zeigten Offene Kanäle standardmäßig nicht unbedingt an. Aber selbst die junge Generation, die nur noch On-Demand-Angebote nutze, könne erreicht werden, wenn die Bürgermedien zum Beispiel in der Schule auftreten würden.

Mike Mohring, CDU-Oppositionsführer in Thüringen, stellte das dortige, neue und einstimmig beschlossene Landesmediengesetz als Vorbild für die Sicherung der Medienvielfalt heraus. Er wies aber darauf hin, dass die „Relevanz des Lokalen“ auch bedeute, dass es 50 Kilometer weiter niemanden mehr interessiere. Dennoch müssten die Bürgermedien gefördert werden. Gute lokale Informationen seien genau das, was die Politik dann im Gegenzug als Mehrwert erwarte. In Thüringen gäbe es Regionen, wo die Hälfte der Menschen keine Tageszeitung mehr lese.

Ebenfalls Selbstlob konnte Marc Jan Eumann (SPD), Medienstaatssekretär in Nordrhein-Westfalen üben. Die privaten Lokalradios in NRW müssten von Gesetz her jeden Tag eine Stunde Bürgerfunk senden. Parpart vom Verband Bürgermedien dreht das allerdings sogleich um: Bezeichnenderweise seid dies das Maximale, das selbst das mächtige NRW gegen die privaten Verlage hätte durchsetzen können.

Aktuell förderten die Landesmedienanstalten bundesweit den Bürgerfunk mit rund 21 Millionen Euro, verteilt auf rund 170 Projekte. Ob man den Betrag nicht einfach verdoppeln könnte? Eumann ließ sich darauf nicht ein. Ein solcher länderübergreifender Staatsvertrag, der alle zufriedenstelle, sei schlicht nicht realistisch.

Ein wenig Hitze in die Debatte brachte schließlich Thomas Muntschick vom Hildesheimer Lokalradio „Tonkuhle“. Er lasse sich nach 30 Jahren Bürgerfunk nicht mehr von der Politik mit „’macht mal erst ein richtiges Programm‘ abfrühstücken“, rief Muntschick in die Runde. Fakt sei, dass hier Leute zu niedrigsten Löhnen arbeiten würden. Sein Vorschlag, einen Teil des Rundfunkbeitrages fest für die Bürgermedien einzusetzen, fand jedoch keine Resonanz, auch nicht bei den Bürgermedien-Verbandsvertretern.

Eine etwas andere Perspektive brachte schließlich SWR-Chefreporter Thomas Leif ins Spiel. Er diagnostiziere, wenig überraschend, große Defizite in der Lokal- und Regionalberichterstattung. Abhängigkeit von der Verwaltung, Gläubigkeit gegenüber Großprojekten, Abdrucken von PR-Meldungen… und auch der „Postkarten-Journalismus“ in der Hessischen Rundschau könnte auch von hessischen Tourismusverband stammen, fasste Leif zusammen.

Überhaupt nehme sich der Zustand der Mediendemokratie schlecht aus, die laut Leif zur Empörungsdemokratie geworden sei. In durch zig Unternehmensberatungen „austherapierten“ Zeitungen und Co. zeigten Journalisten Herdenverhalten bei gleichzeitiger innerer Verunsicherung.

Bürgermedien, so schlug Leif schließlich den Bogen zurück zum Tagungsthema, könnten hier als „Gegenöffentlichkeit“ in die Bresche springen und breite Resonanz finden. Er hoffe, dass durch „spill-over“ Effekte die etablierten Medien zu einer Neuorientierung gedrängt würden.

Zum Abschluss der Tagung wurde noch Radio Lotte Weimar durch das anwesende Publikum als „Leuchtturmprojekt“ ausgezeichnet. Der Sender hatte sich in letzter Zeit mit einer hochwertigen Berichterstattung über den derzeitig laufenden NSU-Prozess in München verdient gemacht.

von Maximilian Staude

Dieser Text steht unter CC-BY-SA 3.0